Die AfD ohne Maske

Einen kleinen Einblick in das, was Björn Höcke mit seiner geforderten „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ gemeint haben könnte, erhält man in seinem im letzten Jahr erschienen Buch. Dort denkt er vermutlich an einen Machtantritt der AfD, wenn er sagt: „In der erhofften Wendephase stünden uns harte Zeiten bevor, denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft.“ Er schreibt weiter davon, dass „wir leider Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind“. Er hingegen stehe für die Reinigung Deutschlands, möchte gern ein „Zuchtmeister“ sein, der „mit starkem Besen … den Saustall ausmistet“, und das alles mit „wohltemperierter Grausamkeit.“

Ich weiß nicht, was man für ein Mindset haben muss, um freiwillig solche Sätze in die Welt zu setzen, aber es verheißt nichts Gutes. Wie muss sich jemand mit Migrationshintergrund in diesem Land fühlen, wenn er solche Zeilen liest? Wie Alte, Schwache, Kranke und Menschen mit einer Behinderung? Wie jemand jüdischen Glaubens, gerade nach den Ereignissen in Halle? Höcke, der laut Gerichtsbeschluss offiziell als Faschist bezeichnet werden darf, sprach auch schon vom Holocaust-Mahnmal in Berlin als einem „Mahnmal der Schande“. Und ebendieser „Horror-Höcke“ (Udo Lindenberg in einem schönen Facebook-Post), der längst vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hat nun nicht nur als Spitzenkandidat in Thüringen 23,4 Prozent der Stimmen geholt. Viel bemerkenswerter ist, was AfD-Parteivorsitzender Gauland nach der Wahl in die Kameras sprach: Höcke rücke die AfD nicht nach rechts, sondern: „Höcke ist die Mitte der Partei.“

Nein, dieser Satz darf nicht einfach untergehen. Man muss ihn sich immer wieder vorsagen, wenn man verstehen will, wie diese Partei in Wahrheit tickt und was ihre Ziele sind.

Es ist an der Zeit, den Umgang mit der AfD zu ändern. Bisher profitierte sie davon, dass viele ihre Wähler und deren Gründe erst mal verstehen wollten, ebenso von ihrem Gründermythos als angeblich nur Euro-kritische Professorenpartei. Noch vor der letzten Bundestagswahl gab es diverse Stimmen, die sich eine mögliche Wahl mit solchen Thesen schönredeten; das Parteiprogramm wäre in vielen Punkten doch ganz vernünftig und nicht so rechts wie behauptet, und überhaupt wäre die CDU vor zwanzig Jahren genauso gewesen. Solches Gerede ist spätestens jetzt überholt. Nicht nur hatte sich die CDU keinen Spitzenkandidaten wie Andreas Kalbitz geleistet, dessen rechtsextreme Aktivitäten jüngst herauskamen (offenbar absolut folgenlos). Die AfD hat in den letzten Jahren auch jeden innerparteilichen Machtkampf nach rechts verloren. Bis Höcke, der wegen seiner rechtsextremen, völkischen Ansichten und Äußerungen einst vor dem internen Ausschluss stand, nun doch noch hochoffiziell in ihrer Mitte angekommen ist.

Was das bedeutet?

Es bedeutet, dass jeder, der diese Partei verteidigt, sie wählt oder mit ihr sympathisiert, spätestens jetzt weiß, was er tut: Er wählt bewusst und offenbar überzeugt nicht bürgerlich und konservativ, sondern rechts(extrem). Punkt. Und so muss man davon ausgehen, dass die AfD nicht trotz Höcke und Kalbitz so viele Stimmen holte, sondern auch wegen ihnen. Es gibt keine Vorwände mehr. Diese Partei zu unterstützen, kann nicht länger ein Zeichen von Unzufriedenheit sein, weil man sich nicht gesehen fühlt, weil in manchen Ortschaften kein Bus mehr fährt oder man seine Meinung von der Union nicht mehr vertreten sieht, es ist kein Mittelfingerzeigen fürs Establishment, keine Wende 2.0 oder anderer Marketingquatsch, nein, diese Partei zu wählen, bedeutet fahrlässig oder wissentlich Rechte und Faschisten bei ihren Zielen zu unterstützen und andere auszugrenzen.

Und das Argument, dass es ja eine demokratisch gewählte Partei ist? Zieht ebenfalls nicht. Auch die NSDAP war in den Dreißigern demokratisch gewählt. Nicht alle, die 1933 für die Nazis stimmten, haben damals bewusst den Terror gewählt, der in den folgenden zwölf Jahren über Europa hereinbrach und sechzig Millionen Menschenleben auslöschte (ein „Vogelschiss in tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ – O Ton Gauland). Aber sie alle haben damals bewusst rechts gewählt und diesem Terror durch ihre Stimmen erst den Weg bereitet.

Was kann man also tun? Man kann jedes Mal zur Wahl gehen und seine Stimme einer Partei geben, die nicht rechts ist, und auch Freunde und Verwandte dazu animieren. Man kann mit potenziellen AfD-Wählern aus dem Bekanntenkreis reden, um sie umzustimmen oder ihnen zu verdeutlichen, wofür die Partei spätestens jetzt eindeutig steht. Man kann sich vor allem bemerkbar machen, menschenfeindliche Sprüche und Hetze nicht akzeptieren, sondern immer wieder dagegen aufstehen und Zeichen setzen. Und man kann die Dinge klar benennen. Und dazu gehört auch zu sagen, dass der rechte Flügel (bzw. neuerdings laut eigener Aussage die Mitte) der AfD zwar zunehmend an die Anfänge der NSDAP erinnert, nur dass die einen in den 1920ern laut aussprachen, was die anderen heute aus Kalkül und Angst vor verfassungsrechtlicher Verfolgung (noch) nur laut denken. Und gleichzeitig anzuerkennen, dass die AfD eine Partei des Jahres 2019 ist: geschmeidig, schwer zu fassen, sich selbst oft widersprechend und geschickt immer wieder zurückrudernd und sich als Opfer darstellend. Sie beherrscht das Spiel von Empörung und Grenzen ausloten mindestens so gut wie die sozialen Medien.

Es geht daher darum, uns mit allem, was wir haben, dieser Partei entgegenzustellen. Die oben erwähnten Zitate von „Wir werden sie jagen“-Gauland und Höcke sind eine eindeutige, letzte Warnung. Ebenso, dass der AfD-Abgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Stephan Brandner, das Bundesverdienstkreuz, das Udo Lindenberg kürzlich erhielt, als „Judaslohn“ bezeichnete. Was sich die FAZ dabei denkt, offenbar ebendiesen Brandner und Gauland zu ihrem 70. Jubiläum einzuladen und dadurch zu hofieren, muss sie selbst wissen. Wer jetzt noch diese Partei relativiert und mit dem bürgerlichen Gründermythos, dem Parteiprogramm oder dem teflonglatten und deshalb gern in Talkrunden vorgeschickten Jörg Meuthen ankommt, liest entweder keine Aussagen ihrer Vorsitzenden und Mitglieder, versteht nicht, was jetzt für unsere Gesellschaft auf dem Spiel steht oder ist ganz einfach offen rechts.

Wer unzufrieden oder politikverdrossen ist und protestieren will, hat tausend Möglichkeiten, das zu tun. Die AfD ist die schlechteste von allen. Diese pseudobürgerliche Partei – wie als Pointe negiert sie auch noch den menschengemachten Klimawandel – hat nichts Zukunftsträchtiges zur Welt beizutragen und keinerlei Konzepte, denn für sie gibt es nur Vergangenheit und rückwärtsgewandte Parolen. Sie hat nicht einen einzigen positiven oder menschenfreundlichen Gedanken hervorgebracht, denn sie kennt nur Hass, Spalterei und Hetze. Sie wird immer ungenierter, selbstbewusster und legt nach und nach ihre Maske ab, fürchtet aber insgeheim das Bunte, Vielfältige, Offene, für das dieses Land steht, denn ihre Welt ist schwarzbraunweiß, trist und klein. Sie will das angreifen, was wir jetzt gemeinsam verteidigen müssen – und was wir auch gemeinsam verteidigen werden. Es liegt nur an uns!