Gespräch über Buchhandel und Europa

Vor einiger Zeit führte ich mit dem Börsenblatt ein Interview anlässlich des European Union Prize for Literature. Inzwischen ist es auf dem Diogenes-Blog, auf Englisch – und hier:

»Buchhändler sind die leidenschaftlichsten und versiertesten Leser.«

Autor Benedict Wells gibt selten Interviews – aber wäre es nicht schade, ein schönes Gespräch über Europa, Populismus und den unabhängigen Buchhandel unveröffentlicht zu lassen? Fand Wells dann auch. 

Börsenblalt: Seit einigen Monaten haben Sie zusätzlich zum deutschen Pass
die Schweizer Staatsbürgerschaft – sprechen Sie Schweizerdeutsch?

Benedict Wells: (wendet sich an Diogenes-Geschäftsleiterin Ruth Geiger: »Mir dünd scho oft Schwyzer-dütsch mitenandr redde, oder?«) Meine Mutter stammt aus Luzern, ich spreche seit meiner Kindheit nur Schweizerdeutsch mit ihr. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir über die Jahre einen ziemlich eigenartigen Dialekt zugelegt habe. Viele Schweizer runzeln erstmal die Stirn, wenn sie mich hören und überlegen, aus was für einem seltsamen Kanton ich wohl komme.

Es gibt im Schweizerischen ganz andere Wortzusammensetzungen – holen Sie sich da Anregungen für Ihre Romane?
Nein, nicht wirklich – obwohl ich ein paarmal an den Begriff »es tötelet« denken musste. Das kann man nur unzureichend übersetzen, es bedeutet in etwa »Tod liegt in der Luft«. Das Wort hat mich beschäftigt, und es findet sich in gewisser Weise auch schon im ersten Satz aus Vom Ende der Einsamkeit wieder: »Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich.«

Sie scheinen gern an anderen Orten als zu Hause zu beobachten und zu schreiben. Wie war das bei Ihrem aktuellen Buch Vom Ende der Einsamkeit?
Letztlich war es eine kleine Europareise, denn das Buch ist in Berlin, Montpellier, Barcelona und Zürich entstanden. Das lag aber vor allem daran, dass ich am Ende sieben Jahre daran geschrieben hatte. Und dass ich lange in Spanien gelebt habe und für diese Geschichte bewusst auch für ein paar Monate nach Frankreich wollte.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang der jüngst verliehene European Union Prize for Literature für Sie?
Ich konnte es erst nicht glauben. Für mich persönlich ist das ein sehr wichtiger Preis, auch, weil ich ein Fan der europäischen Idee bin – vor allem in Zeiten des Brexit und diversen Unabhängigkeitsbewegungen. Ich finde es ehrlich gesagt schockierend, wie stark Populismus und Nationalismus wieder aufkommen und dass eine klar rechte Partei wie die AfD so viel Zulauf kriegt. Und es treibt mich auch um, dass eine Errungenschaft wie die europäische Gemeinschaft so leichtfertig infrage gestellt wird. Man muss sich ja nur mal überlegen, was davor war und ob man das wirklich wieder zurückhaben möchte.

Zu der Auszeichnung gehört auch das Literaturübersetzungsprogramm von Creative Europe …
Der Preis hat viele europäische Übersetzungen unterstützt oder erst ermöglicht, das ist ein großes Glück. Denn im Vergleich zur Literatur ist ja jede andere Kunstform von Anfang an universell zugänglich. Ein Gemälde, ein Song, eine Skulptur, ein untertitelter Film: Das alles kann jeder weltweit verstehen. Bücher dagegen haben Grenzen und sind auf Übersetzungen angewiesen. Bei Vom Ende der Einsamkeit wurden nun über 20 Lizenzen verkauft. Verrückt! Der Roman erscheint also bald auf Französisch, Englisch, Spanisch, aber auch auf Hebräisch, Russisch, Chinesisch und in diversen anderen Sprachen. Ich freue mich sehr darauf, dass dann auch ausländische Freunde meine Sachen lesen können.

350 Buchhändler haben zur Woche der unabhängigen Buchhandlungen (WUB) Vom Ende der Einsamkeit zu ihrem Lieblingsbuch des Jahres gewählt – was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Wahnsinnig viel – denn Buchhändler sind ja sozusagen Profis und mit die leidenschaftlichsten und versiertesten Leser überhaupt. Dazu keine kleine Jury, sondern so viele, das war schon eine unglaubliche Ehre. Ich habe übrigens die vier anderen Romane der Shortlist im Regal stehen und zwei davon bereits gelesen. J. L. Carrs Ein Monat auf dem Land hat mich sehr begeistert, ich hab es sogar erst kürzlich Ruth geschenkt. Und Silvie Schenks Schnell, Dein Leben kann ich auch nur jedem empfehlen, ein wunderbares Buch.

Spricht man mit Buchhändlern, merkt man durchweg: Die mögen Sie. Woher kommt das?
Ich weiß es nicht, aber es freut mich natürlich, vor allem, weil ich Buchhandlungen ja selbst sehr gern mag. Das ist für mich jedenfalls eine besondere Beziehung, die über die Jahre gewachsen ist, und ich muss auch klar sagen: Ohne die Unterstützung der Buchhändler hätte sich Vom Ende der Einsamkeit niemals so oft verkauft. Ich gebe ja kaum Interviews, gehe nicht in Talkshows und möchte vor allem die Romane in den Vordergrund stellen. Und deshalb war es für mich natürlich umso unerwarteter und schöner, dass Vom Ende der Einsamkeit auch ohne Medien-Hype so viele Leser gefunden hat. Dazu haben vor allem die Buchhändler beigetragen, und dafür bin ich zutiefst dankbar.

Von Ihnen gibt es noch immer keine E-Books. Wieso?
Diese Entscheidung hab ich vor zehn Jahren getroffen. Damals musste man befürchten, dass die E-Books den Markt übernehmen, und ich wollte nicht auch noch selbst dazu beitragen. Denn ich liebe das gedruckte Buch, das man in die Hand nehmen und umblättern, mit Widmung verschenken oder vollkritzeln kann. Manchmal nimmt man es auch auf eine Reise mit oder verbindet damit eine ganz persönliche Erinnerung und Geschichte. Ein E-Book dagegen ist immer nur eine Datei. Okay, das ist pathetisch, aber hinzu kommt ja, dass E-Books im Prinzip die natürlichen Feinde der Buchhandlungen sind. Weil man sie tendenziell nicht dort kauft, sondern bequem im Netz. Auch in Zukunft wird es deshalb zumindest das Hardcover von mir immer nur als gedrucktes Buch geben, um weiter dieses Statement für die Buchhandlungen zu setzen. Das ist ein bisschen störrisch und anachronistisch und vielleicht auch kostspielig und bescheuert, aber es ist eben meine Entscheidung.

Wenn Sie auf Ihre bislang über 250 Lesungen zurückblicken: Ist die Atmosphäre in einer kleinen Buchhandlung anders als in einer großen?
Ehrlich gesagt weiß ich das gar nicht so richtig, weil ich bei einer Lesung sowieso immer versuche, eine Art »Wohnzimmer-Situation« herzustellen. Ich möchte keine Distanz zum Zuhörer aufbauen oder Vorträge halten. Ich habe deshalb oft überlegt, wie ich das am besten anstelle und bei meiner Lesereise zu Spinner zum Beispiel immer jemanden aus dem Publikum eine Textstelle vorlesen lassen. Beim aktuellen Roman lese ich dagegen meistens drei längere Passagen vor und dazwischen gibt es jeweils eine Frage-Antwort-Runde mit den Zuhörern. Da entsteht oft ein interessanter Dialog und jede Lesung wird automatisch anders. Ich liebe es aber auch, mit einem befreundeten Musiker aufzutreten, der zwischen den Lesestellen Songs covert, die zur Geschichte passen, und eigene Stücke vorträgt. Die Kombination aus Lesung und Musik werden wir beim nächsten Roman definitiv ausbauen.

Haben Sie eine Lieblingsbuchhandlung?
Es gibt auf jeder Lesereise tolle neue Entdeckungen, doch am liebsten gehe ich natürlich in die Buchhandlung meiner Kindheit, zum Lehmkuhl in München. Es ist aber auch schön, wenn ich nach Ewigkeiten in Buchläden komme, in denen ich schon öfter gelesen habe. Etwa bei Solway Herschel in Berlin, bei Helmut Zechner in Klagenfurt oder bei Hans Grünthaler in Schwabmünchen. Vor kurzem war ich dann wiederum bei Reuffel in Koblenz, wo ich auch schon aus meinem Debüt Becks letzter Sommer gelesen habe – vor neun Jahren! Solche Momente fühlen sich jedes Mal so an, als würde man ein bisschen nach Hause kommen.

Das Interview von Stefan Hauck erschien ursprünglich im Börsenblatt Nr. 15/2017, 13.4.2017, Frankfurt

 

© negative space