Lieblings-Buchhandlungen

Ein kleiner Text über (geliebte) Buchläden und wieso wir diese besonderen Orte unterstützen sollten. Er basiert auf einem Vorwort für In 60 Buchhandlungen durch Europa.

Die inzwischen rundum renovierte Buchhandlung „Lehmkuhl“ in München.

Der Tag, an dem ich begriff, dass Buchhandlungen meine Verbündeten sind, war irgendwann im Dezember 1999. Gerade hatte ich die ersten beiden Harry Potter-Romane gelesen und gehört, es gäbe noch einen dritten. Ich war süchtig und musste ihn haben, jetzt sofort, mein Leben hing davon ab. In dem Kaufhaus, wo ich es zuvor versucht hatte, hatten sie ihn jedoch nicht, sie hatten nicht mal von der Reihe gehört („Potter? Wie schreibe ich das?“).

Letzte Chance also die Münchner Buchhandlung Lehmkuhl, in die mich mein Vater als Kind öfters mitgenommen hatte. Ich kam in den Laden gerannt und stürmte die damals noch knarzende Treppe zur Kinderbuchabteilung hinauf. Und tatsächlich, da stand der ersehnte Band im Regal: Der Gefangene von Askaban. Ich griff danach wie Indiana Jones nach einer goldenen Statue, gepackt von Lesefieber und Vorfreude …

Damals war ich fünfzehn, und an diesem Tag wurde mir bewusst: eine gute Buchhandlung enttäuscht dich nie, sie ist dein Freund. Egal, mit welchem Wunsch ich in den folgenden Jahren den Laden betrat, ob Hornby, Irving, McCullers, Mulisch oder Chabon, das Buch wartete dort bereits auf mich. Die Mitarbeiter*innen schienen zusätzlich auch über eine Art Geheimwissen zu verfügen, und manchmal weihten sie mich mit verschwörerischer Stimme ein; dann verließ ich das Geschäft mit einer grünweißen Tüte, in welcher der neue Ishiguro lag.

Der Lehmkuhl wirkte auf mich immer wie ein Grand Hotel für Geschichten, ich könnte mir kein schöneres Zuhause für Romane vorstellen als diese über hundert Jahre alte Schwabinger Buchhandlung. Selbst als ich später nach Berlin zog, wartete ich mit dem Kauf von Büchern oft so lange, bis ich wieder in München war und im Laden vorbeischauen konnte. Und auch heute hole ich meine Weihnachtsgeschenke im Idealfall dort und freue ich mich jedes Mal, wenn ich die Mitarbeiter*innen dabei auf einen Plausch wiedersehe.

Man kann sich also vorstellen, was für ein märchenhaftes Glück es für mich war, dass ich meine erste richtige Lesung am selben Ort halten durfte, an dem ich schon als Junge oft gewesen war und vom Schreiben träumte (und natürlich ist auch Robert Beck, die Hauptfigur aus Becks letzter Sommer, ein Lehmkuhl-Kunde).

Heimspiel 2008 beim „Lehmkuhl“ in München: meine allererste richtige Lesung, in der Buchhandlung meiner Kindheit.

Im Laufe der Jahre reiste ich als Autor viel umher. Auf hunderten von Lesungen lerne ich unzählige weitere tolle Buchhandlungen kennen, jede mit eigenen Ideen und Besonderheiten. Ob die Inselbuchhandlung auf Rügen und der legendäre Buchhändler Burhan Mutlugöz in Nagold, ob die liebevolle Buchhandlung Herschel in Berlin oder RavensBuch in Ravensburg, wo ich mit jeder Geschichte war, aber auch unzählige andere: Immer wieder war ich berührt von der Leidenschaft, mit der viele Läden geführt wurden, und wie findungsreich sie sich gegen große Online-Händler erwehrten.

Ich habe versucht, mein Bestes zur Unterstützung beizutragen, in dem es zehn Jahre lang gar keine e-books gab – denn ein solches kauft man eher im Netz bei Amazon statt im Laden um die Ecke. Auch in Zukunft wird es deshalb das jeweils aktuelle Hardcover zuerst nur als gedrucktes Buch geben, bevor das e-Book dann später erscheint. Für diese Entscheidung musste ich mir viel Kritik anhören, aber ich möchte dieses Zeichen für den stationären Buchhandel setzen, auch wenn ich damit auf Geld verzichte. Zugleich habe ich mir diverse Kompromisse überlegt, um niemanden auszugrenzen.

Bei den geliebten Plattenläden meiner Jugend hatte ich mitansehen müssen, wie einer nach dem anderen verschwand. Leider erreichten mich in den vergangenen Jahren immer wieder Meldungen, dass auch Buchhandlungen, in denen ich gelesen hatte, schließen mussten. Deshalb kann ich nur das wiederholen, was mir einmal ein guter Freund sagte, es hatte mir damals durchaus die Augen geöffnet:

„Es bringt nichts, liebevoll an all die kleinen (und größeren) unabhängigen Buchläden zu denken oder sich beim Vorbeigehen daran zu erfreuen, dass es das Geschäft aus der Kindheit ja immer noch gibt – und dann aber seine Romane einfach irgendwo anders zu kaufen oder gleich bequem im Internet zu bestellen. Die unabhängigen Buchläden überleben auf Sicht nur, wenn man auch bei ihnen kauft, Punkt.“

Ich hoffe, dass das Bewusstsein dafür weiter wächst. Es liegt an uns, diese Vielfalt und diese oft besonderen Orte zu erhalten.