Letzte Woche fand die Buchmesse in Frankfurt statt, und trotz Auszeit gab es zwei schöne Gründe, hinzureisen. So war einerseits Hard Land für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert – der mir seit jeher viel bedeutet. Vor der Verleihung traf ich bei einem Umtrunk andere nominierte Autor*innen, sei es Sara Barnard (Die beste Zeit ist am Ende der Welt), Kirsten Boie (Dunkelnacht), Sarah Jäger (Die Nacht so groß wie wir) oder Nadua Ghiulam (Das Geheimnis meines Turbans). Die meisten Bücher in meiner Kategorie hatte ich gelesen und war beeindruckt, überhaupt war es eine große Ehre, für diesen seit Jahrzehnten vergebenen Preis nominiert zu sein; schon Krabat erhielt 1972 die Auszeichnung.
Die Verleihung selbst war dann im Stile einer Oscarshow aufgezogen, mit 1300 Gästen im Saal, wunderbarer Moderation, Reden und einfallsreichen Präsentationen der Bücher. Die von der Jugendjury nominierten Romane wurden kongenial von einer Gruppe Jugendlicher vorgestellt bzw. vorgespielt. Ich war gespannt, was sie bei Hard Land machen würden. Zu sehen, wie das eigene Buch derart liebevoll und enthusiastisch präsentiert wird, berührte mich sehr, und spätestens, als bei der Schlusszene und dem „Blick“ Space Age Love Song kam, hatte ich Tränen in den Augen.
Ich hatte dieses Lied so oft gehört, beim Schreiben oder schon davor, bei den ersten Spatenstichen für diese Geschichte. Mit Hard Land hatte ich das Gefühl dieser Musik einfangen wollen und mir beim Hören oft vorgestellt, wie Sam euphorisch ins Kino lief oder an Kirstie dachte. Das alles nun auf der Bühne zu sehen, mit diesen phantastischen Jugendlichen, die den Geist des Romans einfingen … dafür gibt es vielleicht keine passenden Worte. Kurz darauf wurde der Umschlag geöffnet, und was dann folgte, kann man hier ansehen, aber ich empfehle die ganze Veranstaltung.
Nach der Verleihung feierten wir noch bei einem Abendessen mit meiner Lektorin (die mich bei diesem Roman wie immer sehr unterstützte), befreundeten Mitarbeiterinnen aus dem Verlag – und dazu der Autorin Ingrid Noll (die bei meiner allerersten Lesung vor vierzehn Jahren direkt vor mir las – für mich unvergessen, weil ich danach noch mehr Schiss hatte, auf die Bühne zu gehen).
Denn das zweite Ereignis, das mich auf die Messe führte, war der 70. Geburtstag von Diogenes. Ein Highlight dabei gleich die Wiederbegegnung mit Donna Leon, die ich vor Jahren mal auf einem Lesefestival in der Schweiz gesehen hatte und nun schüchtern mit „Äh, hello Mrs. Leon…“ begrüßte. Die Antwort: Ein fester Händedruck und ein resolutes „Oh, for God’s sake, call me Donna!“ Genauso schön war es, andere Kolleg*innen zum ersten Mal zu treffen. Wie sehr habe ich solche Begegnungen in den vergangenen Jahren vermisst.
Wie im Gespräch beim Jugendliteraturpreis kurz gestreift, war es jedoch keine normale Messe. Nicht nur, weil es das erste Mal seit der Pandemie war, dass sie wieder mit Präsenz stattfinden konnte. Sondern auch, weil Bücher in Zeiten der Proteste im Iran und des Krieges in der Ukraine eine noch wichtigere Rolle einnehmen, als Brückenbauer und Grenzeneinreißer. Nach dem Diogenes-Talk redete ich mit Andrej Kurkow, der seit März nonstop im Einsatz ist, und dessen Interviews zur Lage in der Ukraine ich genauso empfehlen kann wie seinen Roman Graue Bienen.
Mich beeindruckt sehr, wie er trotz der zermürbenden Situation zu Hause (er und seine Familie sind in Kiew einer ständigen Gefahr ausgesetzt) nicht aufgibt, sich seit Monaten unermüdlich einsetzt, immer wieder eindringliche Worte findet – und dabei selbst seinen Humor zu bewahren vermag. Umso tragischer, dass man dabei schnell vergessen kann, dass er nicht nur eine wichtige Stimme zum Kriegsgeschehen ist, sondern auch ein Autor. Und so möchte ich hier auf seine Neuerscheinung Samson und Nadjeschda hinweisen – auf die ihn ein Karton mit polizeilichem Archivmaterial brachte, den eine Leserin bei ihm abgab.
Dass Kim de l’Horizon für den Roman Blutbuch den Deutschen Buchpreis gewann, freute mich übrigens sehr. Die Angriffe und Drohungen nach der Auszeichnung dagegen sind beschämend und traurig. Umso wichtiger, dass de l’Horizon selbst zu Wort kommt. Etwa in diesem phantastischen Text, den ich allen, aber auch wirklich allen, ans Herz lege.
Nach der Messe ging es zurück nach Zürich, wo direkt die zweite Ausgabe des UTO late stattfand. Nach der Katastrophe vom ersten Mal (ich übertreibe nicht, etwas Absurderes dürfte auf einer Bühne wohl selten zu sehen gewesen sein, wir unterboten damit vermutlich selbst unseren vorgestellten Film The Room) wollten wir alles besser machen. Diesmal war die Lyrikerin und Autorin Simone Lappert zu Gast, es ging über unseren Schwerpunkt Wes Anderson, die noch immer viel zu niedrige Sichtbarkeit von Frauen im Film (selbst der von uns im Vorfeld gezeigte Klassiker The Royal Tenenbaums fällt durch den Bechdel-Test), aber auch in der Literatur, es gab Spiele und am Ende ein Filmquiz. In Simones – phantastischem – Lyrikband längst fällige verwilderung heißt es an einer Stelle:
entschuldigung, wo kann ich hier unversehrt scheitern?
Wir hoffen, das Scheitern ist uns diesmal zumindest etwas unversehrter gelungen als bei der Premiere und freuen uns auf die nächste Ausgabe des Kino Talks (dann mit Sofia Coppola als Schwerpunkt und The Virgin Suicides). Bis dahin geht es zurück ins Studium, aber vorher möchte ich mich noch mal bei allen für die vielen schönen Begegnungen beim UTO late und auf der Messe bedanken. Ebenso bei den Organisator*innen des Jugendliteraturpreis und den Jugendlichen selbst. Diese Auszeichnung und der Abend könnten mir nicht mehr bedeuten.