Edward Snowden – Fünf Jahre danach

Vor fünf Jahren erlangte der Whistleblower Edward Snowden weltweite Bekanntheit. Er deckte als Erster auf, was zwar viele vermuteten, aber niemand sicher wusste (und schon gar nicht in diesem Umfang): Dass wir alle von der NSA systematisch überwacht und ausspioniert werden. Es gab über ihn inzwischen Kinofilme, Bücher und erstklassige Dokumentationen, und man kann diesen Satz nicht oft sagen, aber hier stimmt er: Die Welt wurde durch seine Aktion eine andere. Es war Snowdens mutige und von seinem Gewissen getriebene Tat, auf deren Grundlage wir seither diskutieren und Themen wie Überwachung verhandeln. Doch während wir ihm dieses Wissen verdanken und andere Whistleblower wie Chelsea Manning inzwischen begnadigt wurden, ist Snowden selbst ein wenig in Vergessenheit geraten. Noch immer in Russland, noch immer ohne Hoffnung auf eine Rückkehr in das Leben, das er einst aufgab. Würde er nach Amerika ausgeliefert oder einreisen, bekäme er keinen fairen Prozess. Er dürfte sich dort wohl nicht mal vor Gericht verteidigen oder auch nur seine Motivation darlegen.

 

Snowden ist ziemlich genau in meinem Alter, und oft überlege ich, wie es ihm in seinem Exil geht. Das Mindeste, was man für ihn tun kann, ist, ihn nicht zu vergessen. Daran zu erinnern, dass hier jemand zum Wohl der Welt sein Leben riskierte. Vor fünf Jahren schrieb ich einen Post auf Facebook, er kommt mir in seiner fast jugendlichen Wut und Empörung inzwischen ein wenig naiv vor. Aber er ist leider immer noch aktuell:

„EDWARD SNOWDEN

Es tut mir leid, hier kurz ausnahmsweise etwas zu posten, was nichts mit meinen Büchern oder mit Musik zu tun hat. Es ist quasi die Werbeunterbrechung meines Gewissens.

Denn es ist ein Thema, das jeden etwas angeht, ein Thema, bei dem man nicht einfach wegschauen kann. Sicher, die Frage, was man tun kann, schmerzt, denn die Antwort ist vage und desillusionierend. Ich poste nichts Privates auf facebook, keine Fotos von Freunden, solche Sachen. Wie rührend lächerlich. Es würde nicht mal reichen, sich von facebook komplett abzumelden. Das habe ich oft überlegt, aber das wäre völlig bedeutungslos. Es ist ja nicht facebook allein, es ist jede private oder berufliche Mail, jede Suchanfrage im Netz, jeder Anruf mit dem Handy, neuerdings jedes Spiel mit einer Konsole, vielleicht auch das Kameraauge meines Laptops, das mich gerade anstarrt. Und natürlich die apps auf dem Smartphone, die registrieren, wo ich mich zu jeder Zeit befinde. Das alles wird gegen meinen Willen aufgezeichnet und gespeichert. Und vor allem: Ausgewertet. (Etwa mit „behavior detection“)

Von nun an werden wir alle lebenslang Verdächtige sein.

Was also tun? Entweder wird man zu einer grotesken, zurückgezogenen Figur, die in den Wäldern lebt, oder man muss es ertragen und eben von innen ändern. Nur wie? In dem man sich wehrt, in dem man überhaupt erst das Bewusstsein hat, sich zu wehren, und angesichts solcher Nachrichten die Faust in der Tasche ballt und darauf wartet, dass es endlich eine Möglichkeit gibt, etwas zu verändern, vielleicht durch einen gemeinsamen, globalen Protest. Das zu schreiben, kommt mir auch schon wieder nutzlos und naiv vor, aber was soll man machen. Denn Veränderung kann nur entstehen durch Bewusstsein, durch Nichtakzeptieren der Umstände. Nur mit den Schultern zu zucken und sich als zynisch abgeklärter „Ich hab’s gewusst“-ler darzustellen, bringt niemandem was. Sicher, wir Europäer haben vermutlich bei diesem Thema ohnehin nichts zu melden, aber es geht um Haltung. Und unsere Regierung hat zum Beispiel keine.

Und ich werde Barack Obama immer verteidigen, weil ich an ihn glaube, weil er zu einem ungünstigen Zeitpunkt ins Amt kam, mitten in einer weltweiten Rezession, weil er von den Republikanern seither bei jeder Gelegenheit angegriffen wurde und trotzdem vieles großartig löst, weil er das Land zu einen versucht und für Hoffnung und Aufbruch steht. Doch gerade deshalb bin ich im Fall Snowden zum ersten Mal enttäuscht. Er, der doch eigentlich glänzende Redner, schweigt bislang zu diesem Thema, dabei würde man sich hier besonders von ihm die richtigen Worte wünschen. So aber fühlt es sich an wie ein stummes Eingeständnis: YES WE SCAN.

Und jetzt? Es gibt einige Leute, denen ist es egal, dass sie ihrer Privatsphäre beraubt werden und unsere Regierung tatenlos dabei zusieht. Bzw. sogar nachweislich einen Pakt mit den Amerikanern geschlossen hat. Diese Leute sagen dann, sie hätten nichts zu verbergen. Noch leben wir in zivilen Zeiten, da scheint das alles nicht so schlimm. Aber man stelle sich nur mal vor, es käme in einigen Jahren aufgrund der Finanzkrise oder Ressourcenknappheit noch einmal zu Krieg und einem totalitären Regime. Wie sollte man sich dann dagegen wehren? Das Regime wüsste alles über einen, wirklich alles, man wäre auf dem Silbertablett serviert, bzw. in einer Blechdose. Noch schlimmer, als Orwell es sich je in seinem 1984 ausgedacht hat.

Wer kann so etwas wollen?

Früher gab es über all das nur Gemunkel und Geraune, jetzt gibt es Beweise, schwarz auf weiß. Man kann über Snowden urteilen, wie man mag, aber er hat allein schon mal dafür gesorgt, dass über dieses Thema diskutiert wird.

Nun liegt es an uns, was wir daraus machen.“