Weibliches Schreiben

Ich würde gern allen einen Artikel ans Herz legen, der sehr differenziert ein Thema beleuchtet, das mich schon seit Monaten beschäftigt. Und zwar wurde mir zu meinem Schrecken klar, wie wenige Bücher von Frauen ich als Jugendlicher und junger Erwachsener gelesen habe. In all den Jahren im Unterricht etwa höchstens ein Werk von einer Autorin, wenn überhaupt. Und auch später, als ich mir die Bücher selbst aussuchen konnte, führte der Weg erst mal ohne zu überlegen von Irving zu Ishiguro, von Hornby zu Green, von Hemingway zu Fitzgerald, von Chabon zu Nabokov … Von den unzähligen anderen männlichen Klassikern aus Russland ganz zu schweigen.

Bis irgendwann Carson McCullers mit „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ meinen Weg kreuzte und ich in ihr jemanden fand, der mir von der Art, auf andere Menschen zu blicken, vielleicht von allen schreibenden Menschen am nächsten ist. Und es ist wohl kein Zufall, dass sie, die eigentlich Lula mit erstem Namen hieß, als Carson veröffentlichte, so wie auch Nelle Lee unter dem Vornamen Harper publizierte, während Joanne Rowling sich das „K“ selbst hinzufügte, damit sie in Amerika unter dem neutralen J. K. Rowling an den Start gehen konnte – nachdem manche Verlage sie bereits abgelehnt hatten, aus Angst, Jungen würden ungern etwas von einer Autorin lesen.

Seit Jahren versuche ich jedenfalls, dieses Defizit auszugleichen, aber so richtig bewusst wurde es mir noch mal in den vergangenen Monaten. Ich wünschte einfach, ich hätte McCullers schon viel früher entdeckt, und am besten damals gleich auch noch Toni Morrison, Lucia Berlin, Ayn Rand, Siri Hustvedt, Katherine Mansfield, Zadie Smith, Donna Tartt, Olga Tokarczuk, Elizabeth Strout, Joan Didion, Hanya Yanagihara und viele mehr. Und wenn ich jemals ein Buch über meine schiefe Kindheit und Jugend schreibe, dann nur, weil mir Jeannette Walls mit „Schloss aus Glas“ zeigte, wie das geht.

Ich kann jedoch leider nicht in die Vergangenheit reisen und meinem jugendlichen Ich mehr prägende Lieblingsbücher von Frauen in die Hand drücken – es wird immer nur einige wenige wie eben die Werke von Rowling und Lindgren haben. Aber ich kann dafür sorgen, dass unter meinen zukünftigen Lieblingsbüchern genauso viele von Frauen sind wie von Männern (und das auch die Herkunft der Autor:innen und die Themen diverser sind). Gott sei Dank leben wir inzwischen in einer Zeit, in der man nur in die Buchhandlung zu gehen braucht und sofort großartige Werke von Frauen findet, ob zuletzt etwa „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky, „Mädchen Frau etc“ von Bernardine Evaristo, „Der Sprung“ von Simone Lappert, „Schnell, dein Leben“ von Sylvie Schenk, „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens, „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie, „Mädchenmeute“ von Kirsten Fuchs, „Tigermilch“ von Stefanie De Velasco, „Kinder des Zufalls“ von Astrid Rosenfeld oder „Himmel und Hölle“ von Alice Munro.

Denn anders als beim Film, wo es angesichts eines historisch und leider auch aktuell stark männerdominierten Systems noch deutlich düsterer aussieht, Klassiker von Regisseurinnen zu finden (auch wenn es Dank etwa Greta Gerwig, Chloé Zhao, Maren Ade, Patty Jenkins, Sofia Coppola, Kathryn Bigelow und Lulu Wang zumindest ein wenig Hoffnung auf Wandel gibt), haben wir in der Literatur schon jetzt die große Wahl. Und das ist eben auch eine Einladung, über unser Leseverhalten nachzudenken. Wenn von den letzten zehn Büchern zehn von Männern waren, dann ist es vielleicht an der Zeit, dass die nächsten allesamt von Frauen sind.

So, wie es hoffentlich auch eines Tages selbstverständlich sein wird, dass die Hälfte aller Verleger weiblich ist – und ebenso die Hälfte aller verlegten Autor:innen in den Programmen.

Hier der Artikel von Isabelle Lehn über weibliches Schreiben, den ich sehr empfehlen kann. Er ist nicht kurz, dafür sehr erhellend und fundiert. Und die Zeit sollte jeder haben, der sich für Literatur interessiert.