Kein Schweigen. Kein Wegsehen. Kein Antisemitismus.

Wir leben in dunklen Zeiten, deshalb möchte ich nicht groß herumreden: Es beunruhigt mich zutiefst, wie stark der Antisemitismus in diesem Land zugenommen hat, nicht erst seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle vor einigen Jahren. Mittlerweile erzählten mir mehrere jüdische Freunde von ihrer Angst, momentan in Deutschland zu leben. Manche fürchten sich vor bestimmten Straßen, andere vor Anschlägen auf jüdische Cafés, die sie gern besuchen, und alle sind erschrocken von den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien wie der AfD.

Gerade fühlt es sich so an, als würden viele die bedrückende Eskalation im Nahen Osten nutzen, um ihre antisemitischen Ressentiments endlich offen auszuleben. In Berlin wurden Molotow-Cocktails auf ein jüdisches Gemeindezentrum geworfen, dort und in anderen deutschen Städten wurden Davidsterne an Hauswände geschmiert. Kürzlich sprach der Chef von Makkabi Deutschland darüber, wie jüdische Sportvereine in Deutschland immer wieder angefeindet werden, zuletzt wäre auch der Trainer einer gegnerischen Mannschaft bedroht worden, falls diese es wagen sollte, „gegen Juden“ zu spielen. Das Spiel wurde abgesagt.

Das alles macht mich fassungslos, betroffen und wütend.

Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass Jüdinnen und Juden in diesem Land Angst haben, sich zu ihrer Religion zu bekennen oder eine Kippa zu tragen. Oder dass sich die Anschläge auf jüdische Einrichtungen und verbale Anfeindungen weiter häufen. Es war zudem schockierend, wie angesichts der unfassbaren Massaker der Terroristen der Hamas in Israel – es wurden am 7. Oktober rund 1400 Jüdinnen und Juden, Kinder, Babys, Alte, ganze Familien und Pflegekräfte auf brutalste Art und Weise abgeschlachtet – viele sofort „ja, aber“ sagten und reflexartig auf Netanjahus Politik verwiesen, ohne auch nur eine Sekunde lang Mitgefühl mit den ermordeten Opfern zu zeigen.

Fast überall auf der Welt gewinnen rechte und rechtsextreme Parteien an Macht, umso mehr sind wir aufgefordert, uns zu wehren. Es liegt an uns, Zivilcourage zu zeigen und uns gegen Antisemitismus einzusetzen, ebenso wie gegen Hass auf Muslime und Rassismus.

Empathie ist keine begrenzte Ressource.

Die Zeiten mögen schwierig sein, die Weltlage mit ihren Kriegen und Krisen entmutigend wirken, aber es gibt Werte, die verteidigt werden müssen: Menschenwürde, Toleranz, Anstand, unsere europäische Gemeinschaft, Demokratie und Mitgefühl. Wir alle, die wir an diese Werte und Errungenschaften glauben, müssen gerade jetzt sichtbar bleiben, laut, entschieden.

Aber vor allem dürfen wir es nicht hinnehmen, dass gerade viele vergessen oder vergessen wollen, dass Deutschland für die Ermordung von sechs Millionen jüdischen Menschen verantwortlich ist. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass Jüdinnen und Juden sich in diesen beunruhigenden Zeiten nicht alleingelassen fühlen, sondern sicher. Deshalb:

Kein Schweigen. Kein Wegsehen. Kein Antisemitismus.

Nachtrag: Inzwischen gibt es auch diesen offenen Brief verschiedener Autor:innen.